Seit Corona Teil unseres Alltags geworden ist, wurde viel über die Zahl der Toten gesprochen. Über die Trauer spricht kaum jemand. Dabei gilt: Der Tod eines geliebten Menschen macht die Betroffenen nicht nur traurig, sondern auch sehr einsam. Zudem tritt ein seltsamer Wandel ein. Denn mit dem Verlust eines Nahestehenden ist plötzlich alles anders. Etwas, was sich fremd und bedrohlich anfühlt. Ein neuer, unberechenbarer Boss ist eingezogen. Ein neuer Taktgeber und Bestimmer ist in uns. Einer, der halb im Schatten steht und schwer erkennbar ist.
In jedem Augenblick kann er unsere Pläne und Vorhaben durchkreuzen, über Handlungsfähigkeit oder Starre entscheiden. Ein Trauernder fühlt sich oft wie in einer Achterbahn, erlebt extreme Gefühle. Unvermittelt wird er nach links geworfen, dann nach rechts. Es geht beängstigend schnell in die Tiefe, dann wieder bergauf. Die Achterbahn folgt ihrer Spur. Und der Trauernde muss mit. Sie bestimmt, wo das Leben langgeht.
Dieser Teil fühlt sich gar nicht nach uns selbst an. Wir erkennen uns in vielen Situationen selbst nicht wieder. Doch dieser neue Chef ist nichts Fremdes. Er ist ein Teil des Ichs, der durch den Schicksalsschlag wachgerüttelt wurde. Ein Teil, der uns bis zum Lebensende begleiten wird. Je besser wir ihn kennenlernen, desto besser geht es uns.
Wie eine andere Sprache
Oftmals verstehen wir uns in Trauer selbst nicht. Wie denn auch? Wir haben es alle nicht gelernt, mit der eigenen und mit fremder Trauer umzugehen. So sind wir uns (und anderen) oftmals ein Rätsel. Als sprächen wir auf einmal eine neue Sprache, die wir selbst nicht verstehen. Dieses zwiespältige Verhältnis aus „sprechen können“ und „es selber nicht verstehen“ ist eine große Herausforderung.Und elementar für die eigene Trauerarbeit.Wir gehen also durch eine Schule und müssen diese neue Sprache, die uns ab jetzt und bis an unser Lebensende ausmacht, erlernen.
Die eigene Trauersprache ist so individuell wie wir selbst. Die Ursache findet sich in einer Mischung aus dem eigenen Schicksalsschlag, dem eigenen Umgang mit der Trauer und sonstigen Lebensumständen. So hat ein Trauernder mit Kindern andere Themen als jemand ohne Kinder. Betroffene, die ihr Kind verloren haben, sprechen eine andere Trauersprache als jemand, der ein Elternteil verloren hat. Emotionale Menschen haben einen anderen Weg, mit der Trauer umzugehen, als rationale Menschen, usw. Es gibt tausende verschiedene Trauersprachen allein auf Deutsch – manchmal passen sie zusammen, meistens aber leider nicht.
Warum ist es wichtig, jemanden mit gleicher Trauersprache zu finden? Verständnis im Außen fühlt sich zum einen einfach gut an. Für Trauernde ist dieses Verständnis aber noch viel mehr: Wenn wir jemanden im Außen haben, der die gleiche Trauersprache spricht, dann ist das wie ein Spiegel, um uns selbst in Trauer besser kennenzulernen. Verständnis im Außen schafft Verständnis im Innern.
Der unberechenbare, neue Chef, der mit dem Schicksalsschlag eingezogen ist, wird ausgeleuchtet – und wird dadurch berechenbar gemacht. Er wird gezähmt und vom Chefsessel geworfen.Auf dass er ein bewusster – untergeordneter – Teil des Ichs wird. Wir lernen uns neu kennen und können besser sagen, was gut und was weniger gut für uns ist. Es ist ein Weg, der einen besseren Umgang mit der eigenen Trauersituation schenkt und der Heilung die Tür öffnet.
Menschen, die ihre Trauersprache kennengelernt haben, berichten rückblickend, dass sie sich reich beschenkt fühlen. Sie sprechen von klareren Lebenszielen, fühlen einen ganz neuen Selbstwert und eine neue Selbstliebe. Kurz: Es wird von einer Persönlichkeitsentwicklung berichtet, die uns staunen lässt. Alles, was im eigenen Leben unwichtig oder unecht war, wurde über Bord geworfen. Der eigene Weg ist klarer und purer.Die Trauer bleibt, denn es bleibt ja auch die Liebe für den Verstorbenen. Doch die Farbe und Wucht der Trauer verändert sich. Neben ihr wird ein„Danke, dass du in meinem Leben warst!“ immer größer, bis es im Vordergrund stehen darf. (ots/TrostHelden)